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wieso es ok ist, Zeit zu haben

Februar 28, 2016 - 21 comments

„Und, wie geht’s dir so?“ – „Ach, du weißt ja, viel zutun. Ich komm kaum hinterher…“

So fängt beinahe jedes Gespräch in meinem Umfeld an. Ich überlege gerade angestrengt, wann mir das letzte mal jemand gesagt hat, dass es ihm gut geht und dass er gerade das Leben genießen kann und ein bisschen Zeit hat. Ich glaube, das kam tatsächlich noch nie vor.

In unserer Generation ist es in, busy zu sein. Nie Zeit haben ist das neue mir geht’s gut. Vielleicht bei einigen meiner Freunde ein bisschen stärker ausgeprägt, weil viele selbstständig sind, aber selbst bei Freunden, die gerade Semesterferien haben ist es Gang und Gäbe und andere, die gerade ihren Abschluss gemacht haben, machen sich verrückt, weil sie verzweifelt nach einer Beschäftigung suchen, mit der sie die Zeit überbrücken können. Mit meinen alten Kommilitonen verabreden wir uns Wochen im Voraus, Freunde aus meiner eigenen Stadt habe ich zum Teil Monate nicht mehr gesehen. Ich frage Menschen, ob sie einen Kaffee trinken wollen und die Standardantwort ist „Ich habe gerade so viel zutun, vielleicht nächste Woche Sonntag?“. Wir blicken in der Straße, im Bus, in der Bahn kaum von unseren Handys auf, wir müssen immer mindestens zwei Dinge gleichzeitig machen und das bitte auch noch möglichst schnell.

Ich war letztes Jahr in Berlin, einfach nur um Leni zu besuchen. Mich haben mehrere Leute gefragt, wieso ich in Berlin bin und sie konnten meine Antwort nicht fassen. Dass ich einfach so nach Berlin fahre, ohne einen nicht privaten Grund zu haben war aus irgendeinem Grund unvorstellbar. Das ist übrigens schon wieder viel zu lange her.

Ich habe das Gefühl, es ist out geworden, mal Zeit zu haben. Spontan zu fragen, ob jemand abends essen gehen möchte ist gefährlich, denn das zeigt, dass man noch keinen Plan für den Abend hat. Je beschäftigter man ist, desto besser und erfolgreicher ist man und wenn man mal nicht beschäftigt ist, bedeutet das entweder, dass man nicht erfolgreich ist, oder keine Freunde hat.

If your business keeps you so busy that you have no time for anything else, there must be something wrong, either with you or with your business.

– William J. H. Boetcker

Das ist so falsch. Bewusst wurde mir das vor allem letzte Woche. Ich bin aus Teneriffa wiedergekommen und war so ungefähr eine Woche lang Zuhause. Ich hatte immer noch tollen Content von den Reisen und meine Arbeit hat sich wirklich in Grenzen gehalten. Das war seit Berlin Fashion Week, Thailand, Teneriffa das erste mal seit Wochen, dass ich wirklich runterkommen und mich intensiv mit einer Sache beschäftigen konnte. Ich konnte mir ohne Zeitdruck Gedanken zu meinem Blogkonzept, meinem Layout, meinen nächsten Themen machen. Ich konnte mal in Ruhe alles analysieren und schauen, was das für mich bedeutet und plötzlich hatte ich wieder ein richtiges Ziel vor Augen. Nichts schwammiges, wages, sondern ich wusste auf einmal wieder, was ich wollte und ich hatte all diese Ideen.

Was ich damit sagen will: Es ist ok, mal nicht busy zu sein. Es ist sogar notwendig und gesund. Und ob man zu viel zu tun hat oder nicht ist keine Frage von Zeit, sondern von Prioritäten. Wir müssen einfach lernen, die gesunde Waage zu finden und Dinge anders anzuordnen. Vor allem müssen wir lernen nein zu sagen und nicht möglichst viele Projekte halbherzig beginnen, sondern Zeit lassen, für Kreativprozesse. Muss ich wirklich jede Fashion Week mitmachen, oder nutze ich die Zeit vielleicht, um meine Freunde, Bekannten, Familie zu sehen? Das Leben ist kein potentieller Lover, den wir drei Tage nicht anrufen, weil wir vorgeben, dass wir superwichtig sind. Life Goal sollte nicht sein, sich möglichst viel aufzubürden und keine ruhige Minute zu haben, sondern die perfekte Balance zu finden.

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21 Comments

  • Reply Leonie Februar 28, 2016 at 12:52

    Das sind so wahre Worte, liebe Jana! Was du beschreibst, bermerke ich auch immer wieder, natürlich auch bei mir selbst: Es ist immer so viel zu tun, dass man oft einfach vergisst, dass Zeitnehmen für sich selbst auch ein wichtiger Bestandteil des Lebens sein sollte und sein muss.
    Nicht ohne Grund sind wir (und die Generation über uns) sehr anfällig für Burnout und Co.: Einfach weil wir uns keine Zeit mehr nehmen, um mal zu entspannen.
    Sehr schöner Post, der zum Nachdenken anregt!
    Liebe Grüße
    Leonie von glowing

  • Reply Bowie Februar 28, 2016 at 13:10

    Ich bin leider auch einer dieser Menschen, die nie Zeit haben, aber ich hasse es. Ich muss Verabredungen absagen und mein Freund ist sauer, weil er mich kaum noch zu Gesicht bekommt, zwischen Uni und Arbeit.
    Ich sehne mich so sehr dannach, ein bisschen Zeit für mich zu haben, ohne mit einem schlechten Gewissen an den weggeschobenen Aufgabenberg zu denken. Ich kann meine Kommilitonen nicht verstehen, die jeden freien Abend was unternehmen wollen, ich bin froh, wenn ich mal Zeit für mich alleine habe und für mich ist es schöner, je leerer mein Terminkalender ist.
    Es ist einfach mies, wenn man weiß, dass ein Tag 36 Stunden haben müsste, damit man seinen Aufgaben gerecht werden kann, ich weiß nicht, wie man stolz darauf sein kann. Ich wäre glücklich, wenn ich sagen kann „was ich am Wochenende mache? Ich wollte eigentlich nur auf dem Sofa rumlümmeln und Netflix gucken“.

  • Reply Evi Februar 28, 2016 at 13:26

    Ich geb dir vollkommen recht.

    Inzwischen bin ich soweit, dass ich mir bewusst freie Tage „schaufle“, um abschalten zu können. Ich habe jetzt mehrere Jahre hinter mir, an denen ich neben dem Vollzeitjob noch zusätzlich im Familienbetrieb tätig war – und dabei ging viel verloren und viel auch beinahe kaputt. Im letzten Moment konnte ich das Ruder noch einmal herum reißen, ansonsten hätte ich viel an die Wand gefahren.

    Termine zu haben, ist das Eine. Viel vor zu haben, auch. Aber mal an sich und die Zeit mit dem / den Liebsten zu denken, das Andere – und das sollte man niemals vergessen.

    In diesem Sinne,
    einen schönen Sonntag,

    viele Grüße,
    Evi

  • Reply Yuna Februar 28, 2016 at 13:31

    Ein sehr schöner Post und so wahr Ich kenne das nur zu gut und manchmal frage ich mich, ob sich diese Mentalität jemals ändern wird. Ist es so seit es Smartphones gibt? Alles schneller, besser, schöner? Ich glaube es ist eine ganz normale Reaktion eines Menschen mit diesem Druck nicht umgehen zu können und man merkt es in den Statistiken, die die Zunahme von psychischen Erkrankungen repräsentieren.

    Wenn ich auf Blogs lese oder von Bekannten, Freunden höre, wie busy diese sind oder keine Zeit haben, etc. (ich meine du hast keine Zeit, nicht mal eine Stunde, bist du der verdammte Präsident von Amerika?), dann denke ich oft daran, welche Gedanken am Ende eines jeden Lebens zählen. Wenn du gebrechlich in deinem Stihl sitzt… denkst du an das Lachen deiner Mutter, als du sie mit einem Blumenstrauß überrascht hast oder an die unbeantworteten Anrufe von ihr, weil irgendwas (ja verdammt was?) wichtiger war.

    Wunderbar, dass du dieses Thema aufgegriffen hast. Bin wieder regelmäßig hier

    • Reply Jana Februar 28, 2016 at 15:49

      gut geschrieben. so wahr…

  • Reply Leni Februar 28, 2016 at 13:39

    Wegen genau solchen Posts folge ich dir, so wahr und so gut geschrieben!
    Auf die Frage: Was machst du heute/morgen/übermorgen? Kommt immer etwas mit Ich muss… Nicht ich will, sondern ich muss. Als ob man nichts mehr aus eigenen Stücken machen möchte, ganz schlimm… Aber ich sehe das leider auch viel zu oft an mir selbst… Trotzdem nehme ich mir dann meistens doch die Zeit, vielleicht nicht heute, sondern morgen, aber schon irgendwann in nicht allzu langer Zeit.
    Liebe Grüße

  • Reply Maria Februar 28, 2016 at 14:12

    Deswegen habe ich einfach meinen Job gekündigt & bin vor 3 Monaten mit meinem Freund losgezogen um die Welt zu sehen. Und jede Sekunde ist es wert! Keine Ausreden, einfach machen. Sonnige Grüße, Maria

    • Reply Jana Februar 28, 2016 at 15:49

      boah, wie cool! Das ist der Hammer!

  • Reply Jules Februar 28, 2016 at 14:49

    Ich finde das Thema (und auch deine Sichtweise darauf) super gut. Ich habe das Gefühl, dass manche Leute „ich habe Zeit“ oder „da mache ich nichts“ mit Faulheit gleichsetzen – zumindest habe ich es in meinem Bekanntenkreis bereits erlebt. Man wird schief angeschaut und erwähnt gerne mal noch, dass man sich selbst ja nie eine Pause könnt und furchtbar busy ist. Viel beschäftigt sein ist gut, Pausen machen und Zeit haben aber mindestens genauso.

  • Reply Andrea Februar 28, 2016 at 15:01

    Folge dir schon länger, vor allem wegen den visuellen Eindrücken. Ich glaube, manche bewegen sich im verkehrten Bekanntenkreis. Ich habe Zeit = Faulheit, ….

  • Reply Featheranddress Februar 28, 2016 at 15:25

    Mir ist auch schon aufgefallen, dass man gleich in seinem Tun nicht gut sein muss, wenn man Zeit hat. Mir fehlt es manchmal sehr, einfach eine Freundin anzurufen und zu sagen „hey hast du Zeit für ein Kaffee oder zum Shoppen in der City“. Früher war es noch möglich, aber ich denke mir dann immer, von nichts kommt nichts und arbeit muss getan werden, egal ob mal was auf der Strecke bleibt oder nicht. Ich hatte z.B. eine Woche Zeit, weil ich krank war. So konnte ich aber auch neue Energie und Ideen sammeln, für meinen Blog. Denn ganz so faul war ich dann doch nicht. LG

    http://featheranddress.com

  • Reply Anne Februar 28, 2016 at 15:32

    Das sind so tolle Worte Jana. Ich sehe das genauso. In meinem Freundeskreis ist auch keiner mehr wirklich spontan und immer so beschäftigt. Irgendwie dachte ich immer, dass es am Erwachsenwerden liegt, aber ich glaube deine Antwort trifft es eher. Es ist in busy zu sein. Selbst wenn man mal zuhause auf dem Sofa rumhängt wird schon wieder bei Insta und Snapchat geguckt oder mails beantwortet, ich glaube uns fällt mittlerweile richtig schwer man nichts zu tun.

  • Reply Andrea Februar 28, 2016 at 15:56

    Du hast ja so Recht!!

  • Reply Leni Februar 28, 2016 at 16:09

    JAAA, viel zu lange her ist es! miss you!

  • Reply ani Februar 28, 2016 at 16:45

    Gerade noch stehe ich in der Türe und sage zu meinem Freund „Ich glaube ich bin richtig schlecht im nichts tun. Irgendwie plagt mich immer ein schlechtes Gewissen. “
    Dein Blogeintrag kommt wie gerufen.

    Eigentlich seltsam gerade erst haben die Semsterferien angefangen und das 3. Mastersemster steht an und ich frage mich wie es sein kann, dass ich nicht einfach mal nichts tun kann. Bewusst abschalten. Aber nach kurzen überlegen wird mir klar, ein schlechtes Gewissen plagt mich und das so gut wie immer wenn ich nach einer stressigen Zeit einfach mal Freizeit habe. Ich kann noch nicht mal sagen wieso es so ist. Schwierig einfach mal abzuschalten. Hat man es dann mal geschafft, kommt einem dann: Scheiße in nicht all zu langer Zeit steht die Masterarbeit an.. Was machst du denn danach?!

    Fragen über Fragen. Ich glaube es liegt an unserer heutigen Zeit so wie du es schon gut formuliert hast es muss alles Kontrolliert sein egal was man macht.

    Möchte ich spontan eine Freundin anrufen ohne mich Tage oder Wochen anzukündigen?! Fehlanzeige. „Süße sorry aber wir sind gerade unterwegs, lass uns zusammenschreiben und dann telefonieren.“ Es ist unglaublich aber das schlimme an der Sache ist, ich bin keinen Deut besser.

    Manchmal ist es schwierig zu akzeptieren, dass man sich die Zeit in der man faul sein darf einfach verdient hat und es völlig in Ordnung ist und wir vor lauter Stress vergessen zu Leben.

    Danke für deinen Beitrag liebe Jana , für mich kommt er wie gerufen.

  • Reply Corinna Februar 28, 2016 at 16:54

    Wirklich sehr schön geschrieben liebe Jana. Wie Recht du hast, man ist immer busy und hat 1000 Dinge zu tun, selbst am Wochenende oder im Urlaub. Manchmal muss man echt einen Gang zurückschalten und es sich bewusst gut gehen lassen. Ohne weitere Vorhaben. Manchmal machen mein Lieblingsmann und ich einen „Offline Tag“ – ohne Handy, ohne Uhr, einfach so in den Tag hinein leben. Und eigentlich sollte man das viel öfter machen!
    Sehr schöner Post jedenfalls!

    Viele liebe Grüße,
    Corinna
    http://www.kissenundkarma.de/

  • Reply Rina Februar 28, 2016 at 20:30

    Ich mag diese Art Post sehr – gerne öfter und regelmäßiger so ein „Sonntagstext“

  • Reply Anne Februar 28, 2016 at 21:20

    Finde ich wirklich wichtig, dass das mal jemand schreibt. Ich glaub man nimmt sich und seine Arbeit vielleicht auch manchmal zu wichtig? Aber das wirklich wichtige sind die Momente im Leben und nicht die Arbeit.
    Da fällt mir auch immer wieder dieser tolle Artikel zu ein: http://www.healthyhabits.de/20-absurde-letzte-worte-die-du-garantiert-nicht-sagen-wirst/
    Hab noch einen schönen Sonntag!
    Liebe Grüße,
    Anne

  • Reply Krissisophie Februar 28, 2016 at 21:22

    Du hast wirklich Recht! So viele Leute sind ständig beschäftigt, ob mit lernen oder arbeiten oder was auch immer.Hin und wieder sollte man sich wirklch etwas Zeit für andere Dinge nehmen und abschalten.

    Ganz liebe Grüße,
    Krissisophie von the marquise diamond
    http://themarquisediamond.de/

  • Reply Yoyó Februar 29, 2016 at 11:31

    Du hast so recht. Man muss sich wirklich mal Zeit für die schönen Dinge im Leben nehmen und mal runterkommen.
    Witzig, dass ich auch gerade erst dazu einen Post geschrieben habe. Immerhin scheint es nicht nur mir so zu gehen.

  • Reply Käthe Februar 29, 2016 at 20:02

    Oh ein schöner Post! Wahre Worte. Man wird angeschaut wie ein Alien, wenn man sein kostbares Wochenende noch nicht vollends durchstrukturiert hat sondern einfach mal schauen will auf was man denn so Lust hat.
    LG, Käthe von Nicht 57B

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