Wie wenig mich mittlerweile noch schockiert ist mir letzte Woche klar geworden. Ich habe das Gefühl, ich habe so ziemlich alles schon einmal gesehen oder zumindest gelesen. Das Internet bietet ein Überangebot aus Skandalen, viel zu privaten Geschichten und Sensationen. Und wenn man selbst mittendrin ist, nicht nur Konsument, sondern auch Produzent und in diesem Internet seine Brötchen verdient, fragt man sich irgendwann in einem gefrusteten Moment zwangsläufig ‚muss ich da mitmachen?‘.
In einer Zeit, in der alles immer schneller werden muss, in der wir keine ruhige Minute finden, um nur eine einzige Sache konsumieren, sondern nebenbei mindestens auf unserem Handy rumscrollen müssen, während wir einen Film schauen oder jemand uns etwas erzählt, wie lange werde ich überhaupt gesehen, ohne aufreißerische Clickbait-Titel oder völlig überdrehter Stories? Wie viel größer kann der Drang noch werden, als erstes das Handy zu zücken und zu filmen, wenn etwas schlimmes passiert? Habe nur ich immer häufiger das Gefühl, dass wir uns in einer ganz schlimmen Black Mirror Folge befinden?
Ich kann mir vorstellen, wie Redakteure in der Bildredaktion sitzen und sich angeheitert überlegen, welche möglichst dämlichen Clickbait-Titel man als nächstes raushauen könnte, mit dem einzigen Ziel, die anderen in ihrer Blödheit zu übertreffen. Vielleicht irgendwas, was der besorgte Wutbürger sich spontan auf’s Plakat klatschen würde – und dann kommt sowas dabei raus. Journalist kann sich in Deutschland jeder nennen, dazu braucht man, wie dieses Beispiel so gut zeigt, weder ein Journalismus-relevantes Studium, noch Menschenverstand oder überhaupt ein Gewissen. Zumindest bei der Bild reicht es wahlweise auch einfach, ein paar polemische, haltlose Slogans rauszuhauen.
Und wie die großen Zeitungen es so schön vormachen und wir alle eine Teilschuld haben, weil wir diesen Mist auch noch kaufen, anklicken, konsumieren, so ist diese ganze Gier schon längst in allen Ecken des Internets angekommen. Mir wird schon lange ein klein wenig anders, wenn ich an Youtube denke. Dieser dunkle, gewissenlose Ort, an dem Menschen Videos hochladen, auf denen sie Nachts mit einem Messer hinter Menschen herrennen und zu Tode erschrecken, um hinterher „It’s a Prank, bro“ zu rufen (und damit ist alles wieder lustig und genial) oder man mittlerweile aktiv nach Menschenleichen sucht, um diese dann lachend zu filmen und in ein aufreißerisches Video umzuwandeln. Ich glaube, den meisten Menschen ist überhaupt nicht bewusst, was sie da tun, bis sie den Gegenwind zu spüren bekommen. Die moralischen Grenzen verschwimmen mit der Zeit und die oberste Prämisse ist, die Sensationsgeilheit der Konsumenten zu befriedigen. Immer größer, schneller, krasser – irgendwas tun, was es noch nie gegeben hat oder ich gehe unter in der Masse und die eigene Stimme der Moral geht in diesem Wirrwarr einfach unter, bis sie gar nicht mehr zu hören ist.
Es gibt Medienleute, mit denen ich meine Freizeit nicht mehr verbringen kann, weil es mich zu sehr stresst, die ganze Zeit zu befürchten, dass sie meine privaten Momente öffentlich machen, weil sie sich dazu entschlossen haben, ihr ganzes Leben inklusive ihrem Umfeld zu teilen. Ich möchte nicht mein komplettes Leben teilen und erst recht nicht mein privates Umfeld und vor allem möchte ich nicht, dass jemand mich permanent für seine Sensationsgier ausnutzt. Ich kann mir nicht einmal mehr ansehen, wie jemand über seine Vertrauten redet, als hätte er ein neues Sims-Spiel angefangen. Und es widert mich an, wie einem der Drang überkommt, in schlimmen Situationen erst einmal das Handy zu zücken und mit der Kamera draufzuhalten.
Ich überlege immer, wie sich diese Menschen wohl am Ende ihres Lebens fühlen. Ob sie sich wohl fragen, ob sie etwas Positives in dieser Welt hinterlassen haben? Ob sie sich schämen für das, was sie nicht nur anderen, sondern auch sich selbst angetan haben? Oder ob sie es tatsächlich schaffen, sich bis zum Ende ihrer Zeit selbst zu beschwichtigen, denn es gibt jawohl noch Menschen da draußen, die viel viel schlimmer sind. Ob man es wohl irgendwann bedauert, dass man seine eigene Stimme verloren hat?
Ich kenne diesen Drang, das Handy zu zücken. Vor allem, wenn ich sehe, wie andere es tun, ist es fast schon eine automatische Geste. Und ich weiß auch ganz genau, wie es sich anfühlt, wenn viele Leute auf deinen Artikel klicken und du weißt, dass du gerade etwas geschaffen hast, was bei anderen Menschen eine Reaktion hervorruft. Aber zu welchem Preis? Ich weiß, mein Titelbild passt überhaupt nicht zum Text. Ich hätte mich besser neben ein brennendes Hochhaus stellen sollen. Dann hätten vielleicht auch mehr Menschen geklickt.
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sich diese Menschen dafür schämen. Das ist eine romantische Vorstellung, dass die Gewissensbisse haben. Aber am Ende des Tages interessiert nur Ruhm, Macht und der Kontostand.
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ok, der Tweet konnte mich (leider) auch nicht mehr schockieren. aber was zur Hölle hat sich dieser YouTuber gedacht?? vielleicht reist er im nächsten Vlog zufällig ins KZ? oder ins Obdachlosenheim? ins Hospiz? wohin soll das alles führen ?? da meint man der Mensch sei das intelligenteste Wesen und dann sieht / hört / liest man solche Dinge
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Der Text ist wichtig, aber vielleicht solltest du dazu nicht ein Youtubevideo von PewDiePie einbinden, der auch vor wenig zurückschreckt wenn es um Klickzahlen geht siehe -> http://www.zeit.de/digital/internet/2017-02/pewdiepie-antisemitismus-disney-youtube
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Ich komme leider auch immer häufiger in meinem Alltag an den Punkt an dem ich mich frage, was denn nur mit der Menschheit los ist. Wieviel Hass und Missgunst und Abscheu kann man aus Ignoranz anderen Menschen entgegenbringen… Manchmal glaube ich dass es alles hoffnungslos ist und man einfach nur warten kann bis die zwei Verrückten Twitter-Krieger sich entschieden haben wer zuerst den Knopf drückt. Ich hoffe wirklich sehr dass die Mehrheit der Menschen besser ist als das, was uns so häufig den Kopf schütteln lässt…
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Wow, also Jana ich muss wirklich sagen, ich lese deinen Blog ja nun seit Jahren. Aber ich warte förmlich jeden Tag sehnsüchtig darauf, das Posts wie diese hier kommen, weil das sind mir die liebsten. Natürlich muss man aufpassen, dass man nicht komplett alles schwarz malt. Aber ich glaube genau das ist das Problem: Die Menschen merken gar nicht wie beschissen gut es ihnen geht! Ich bin zum Glück ein Mensch, der nicht bei jeder Gelegenheit das Handy zückt, dennoch habe auch ich selber mich schon in Situationen erwischt, in denen mir ein Licht aufgegangen ist und ich gedacht haben „Was machst du eigentlich da?“. Ich merke es auch an einer guten Freundin von mir, die alles, wirklich alles erstmal mit dem Handy fotografieren muss. Die wahre Schönheit der Dinge und des Lebens geht doch so einfach nur verloren. Das Leben rast an einem vorbei weil Tweets, Instagram, die besten Pranks (ohne Werbung machen zu wollen: https://www.vice.com/de/article/7xekze/das-sind-die-daemlichsten-deutschen-youtube-pranks-2017 ) und der neuste heiße Scheiß viel wichtiger sind, als das eigentlich Leben um einen herum. Es gehört heute dazu, keine Frage. Ich bin ja selber dankbarer Nutzer, ich glaube aber dass das alles die Menschen verändert hat. Wie Vera schreibt, Hass, Missgunst, Abscheu, dazu kann man noch Neid und Geiz addieren. Ich weiß wirklich nicht, wo das alles noch hinführen wird.
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Danke, dass du diese Ansicht und Meinung geteilt hast. Auch wenn ich leider davon ausgehe, dass dieser Beitrag viel zu wenige Menschen überhaupt erreicht (in Gegenüberstellung zu der Zahl die man benötigen würde), finde ich es unglaublich wichtig, immer und immer wieder seine Meinung zu äußern und dieser Sensationsgeilheit etwas entgegen zu setzen, den Menschen aufzuzeigen, was sie da tun. Sie vielleicht mal zum Nachdenken zu bringen, auch wenn das vielleicht bei manchen zu viel verlangt ist.
Lieben Gruß, Anna
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Wow, ein wirklich guter Text ! Das ist ein Thema, das leider, und leider auch von mir, oft verdrängt wird… Einerseits möchte ich die jetzige Zeit genießen, was bleibt mir anderes übrig, aber es gibt so vieles schreckliches vor allem von Medienbetriebene, dessen Fan ich eigentlich überhaupt nicht bin ..
VIelen Dank für diesen Text! Du bist eine große Inspiration
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Wow Jana, ich glaube besser hätte man über dieses, doch sehr prekäre Thema nicht schreiben können. Ich bin eigentlich komplett bei Dir, muss mich leider aber auch zu oft dabei erwischen, wie auch ich immer wieder in diese „Falle“ reintappe. Dennoch bin ich mir dessen bewusst, was ja leider viele nicht sind. Und der Satz „immer häufiger das Gefühl, dass wir uns in einer ganz schlimmen Black Mirror Folge befinden“ ist traurig, aber leider wahr. Das Ganze nimmt unkontrollierte Züge an und das wird nochmal ganz schlimme Folgen mit sich führen.
x Gitta // http://www.gittawitzel.com
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Wow, was für ein toller Text. Leider haben sehr, sehr viele keine inneren Werte mehr und respektieren deshalb auch die Werte anderer nicht. Ich versuche meinem Kind die wahren Werte zu vermitteln. Respekt und Toleranz sollte jeder Mensch jedem Lebewesen gegenüber haben.
Lg. Irene
http://www.moliba.blogspot.com
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