Zwei Cappuccinos werden vor uns auf den Tisch gestellt. Ein fluffiges Croissant, ein Sandwich. Ich zücke mein Handy und öffne fast automatisch die Kamera-App. Auch meine Freundin hat bereits angefangen, das Essen und arrangieren und den perfekten Winkel für ein Foto zu suchen und so sitzen wir beide in dem Café, die erhobenen Handys auf Kopfhöhe und schielen auf das Display. Ich mache ein Bild von oben, eins von der Seite und lieber noch eins, falls es verschwommen war. Und weil meine Freundin noch dabei ist, die Szene zu fotografieren, tippe ich gleich noch ein paar mal auf den Auslöse-Button. Dann fange ich an, mich zu fragen, was ich eigentlich mit diesen ganzen Cappuccino-Bildern will? Mit diesen Handyschnappschüssen eines Tisches? Was will ich damit? Wieso tu ich das und wieso habe ich jedes mal, wenn ich es sein lasse, das Gefühl, ich hätte etwas vergessen?
Dieser Drang, mein Handy zücken zu müssen, wenn ich einen schönen Sonnenuntergang sehe, in einem Café sitze oder Sushi esse, beeinflusst auf eine gewisse Weise mein Leben. Und meinen Handyspeicher. Fotografie, das war doch mal eine Leidenschaft von mir. Jetzt ist es oft nur noch ein Drang, ein nerviges Pflichtgefühl, das ich notdürftig befriedige, indem ich mein Handy zücke und ein paar halbherzige Fotos schieße. Es ist nichts besonderes mehr. Weder der Moment, der durch mein Rumgeknipse zerstört wird, weil ich krampfhaft versuche, ein schönes Handyfoto zu knipsen, noch die lieblosen Schnappschüsse. Eintausend Fotos, die nichts sagen. Und was soll ich damit? Wieso sollten sich Leute in meinen Instagram Stories lieblose und unpersönliche Handybilder von Cappuccinos ansehen? Wenn wir es nicht fotografiert haben, haben wir dann das Gefühl, dass wir es gar nicht erlebt haben? Müssen wir diese kleinen Momente mit der Welt teilen, weil wir sonst Angst haben, dass die Welt uns vergisst?
Früher gab es keine Handys und keine digitalen Kameras. 36 Bilder, 36 Versuche blieben, bis der Film voll war. 36 ganz genaue Überlegungen, was man wie am schönsten oder am aussagekräftigsten ablichten könnte. Ich bin ein großer Fan von Fortschritt und ich liebe meine digitalen Kameras, aber manchmal vermisse ich diese Vorfreude, die man hat, wenn man auf seine entwickelten Fotos wartet. Und die Momente, die man nur für sich hat und mit niemandem teilen muss. Dinge zu genießen, ohne auch nur einen Gedanken an sein Handy zu verschwenden.
Ich habe schon Konsequenzen gezogen. Ich teile sehr viel weniger als früher und lasse viel häufiger mein Handy in der Tasche, auch wenn ich trotzdem viel zu oft schwach werde. Es ist wie Gruppenzwang – sobald jemand anderes sein Handy zückt, um etwas zu fotografieren, habe ich fast schon das Pflichtgefühl, das auch zutun. Ich hatte im Studium einen Professor für Landschaftsarchitektur, der gesagt hat, er kann keinen richtigen Urlaub mehr machen, weil er ständig überall Gärten, Parks und Gehölze fotografieren und inspizieren muss und vielleicht ist es sehr ähnlich als Bloggerin, die in allen Dingen Motive für neue Artikel sieht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ihr diesen Drang nachempfinden könnt, weil es eine Eigenart unserer Generation ist oder ob es wirklich eine Berufskrankheit ist.
Man sollte mehr von dem tun, was einem glücklich macht und wenn das ein Haufen schiefe Bilder des gleichen Motivs sind, ist das fantastisch. Mich macht das allerdings eher unglücklich. Es ist, als hätte ich dem Moment seine Ästhetik genommen und mir selbst den Anspruch geraubt. Ich will das nicht mehr und deswegen ändere ich das jetzt. Ich möchte häufiger meine Kamera mitnehmen, bei der ich mir vorher genau überlegen muss, was ich wie fotografieren möchte, damit ich sie passend einstellen kann. Weil die wohl wichtigste Erkenntnis ist, dass meine Handyschnappschüsse rein gar nichts mit Fotografie zutun haben. Und ich möchte am liebsten keine, oder als Kompromiss maximal ein oder zwei Fotos mit meinem Handy schießen. Das reicht und dann wird es weggelegt. Dann gehört der Moment ganz allein mir.
Mega text! So fühle ich mich im Moment auch, nur dass selbst das Fotografieren mit der Kamera bei mir zum Zwang geworden ist, wenn ich z.B. im Urlaub bin. Obwohl es mir früher so viel Spaß gemacht hat
1
0
Ich kenne dieses Phänomen auch. Bei mir ist es nicht besonders stark ausgeprägt, aber doch auch da.
In meinem Freundes und Bekanntenkreis auch mal weniger, mal sehr stark ausgeprägt.
Was du nicht fotografierst/postest, das hast du nicht erlebt. Ich glaube der Fotozwang hängt extrem damit zusammen.
0
0
Ich verstehe sehr gut was du meinst. Bei mir ist es ähnlich mit den ganzen Handyfotos… Aber ich liebe es! Ich fotografiere wirklich alles was mir über den Weg läuft und ich irgendwie als fotografierenswert betrachte Für mich sind das einfach Erinnerungen. Vieles davon lade ich auf Instagram hoch, mein Account ist allerdings privat und ich habe vielleicht 40 Follower – alles Freunde oder Familie. Für mich ist das eine Form von Tagebuch. Ich liebe es alle paar Wochen mal durch mein eigenes Profil zu scrollen und darüber zu schmunzeln was für lustige Sachen ich erlebt habe oder mit wem ich schöne Zeiten verbracht habe. Klar habe ich auf meinem Handy von vielen Bildern mehrere Exemplare weil man einfach nur drauf los klickt Aber ich miste regelmäßig aus. Wenn ich in anderen Teilen meines Lebens so ordentlich wäre wie mit meinen Fotos, wäre alles wesentlich einfacher
1
0
Ich war vorein paar Wochen im Musée d’Orsay in Paris. Van Goghs „La nuit étoilée“ zog mich in seinen Bann- die Intensität der Farben hat mich begeistert, wieoft hat man das Bild schon abgedruckt gesehen, jetzt aber stand ich davor, sah einzelne Pinselstriche, die Farben leuchteten intensiver als ich es erwartet hatte und um mich herum schauten soviele Menschen nur durch ihre Handykamera, ein Knips oder Selfie… und weiter.
Mich hat das traurig gemacht , fast ein bisschen wütend. Da ha man die Chance ein faszinierendes über 100 Jahre altes Bild zu sehen und anstatt das Original zu bewundern (deswegen ist man doch hingegangen), schaut man auf den Bildschirm und speichert ein Handyfoto- von einem Bild, von dem millionenfach Abdrucke, hochwertige Fotos und ebensoviele Instagrambilder bereits vorhanden sind.
Ein Cappucino mit Freunden, eine spontane Jamsession im Park, das 20. Eis des Jahres, der Kinosaal des Lieblingskinos- zwischen mir und dem Erlebis .die Handykamera.
Sehen wir unsere Welt lieber digital im Quadrat anstatt einfach den Moment im Hier und Jetzt zu genießen? Worum geht es uns da eigentlich? Selbstdarstellung im Sinne von „ICH war hier“? Und wenn ich tausend dieser Bilder mache, woran erinnere ich mich nach 2 Jahren?
8
0
Ich weiß genau wie du dich fühlst und kann es komplett nachempfinden. Genau deshalb versuche ich auch nur noch zu „knipsen“, wenn ich es wirklich veröffentlichen will. Als Restaurant-Tipp auf Instagram oder weil ich einen schönen Text habe, der irgendwie ein Motiv braucht was die passende Stimmung erzeugt. Ich miste meine Kamera-Alben dank mehr Speicher zwar weniger aus, aber mir fällt auf, welche Bilder drauf bleiben dürfen – Ganz besondere Momente und vor allem Bilder mit/von Freunden. Die machen mich nämlich glücklich, wenn ich sie mir ein hundertstes Mal anschaue. Vielleicht sollte ich anfangen den Cappucchino mit der Freundin zu fotografieren, die dabei war
0
0
Toller Beitrag. Mir geht es auch so und tatsächlich überlege ich mittlerweile mehrfach, ob ich das jetzt fotografieren muss und ob ich mir dieses Bild später nochmal ansehen würde. Besonders im Urlaub.
0
0
Was für ein toller Text! Ich verstehe sehr gut, was du meinst, obwohl sich dieses Phänomen bei mir nur im Urlaub einstellt, da ich beruflich nichts mit bloggen zu tun habe (ich hab nicht mal instagram oder Facebook). Der Drang, alles mit der Kamera festzuhalten hat bei mir also nichts damit zu tun, dass ich schöne Bilder zum posten brauche. Ich glaube, bei mir ist es eher so, wie du auch geschrieben hast: Wenn ich es nicht fotografieren kann, hab ich es am Ende nicht erlebt. Dass ist natürlich völliger Blödsinn aber ich habe irgendwann während einer Reise festgestellt, dass ich mich manchmal während großartiger Augenblicke fast erschrecke, wenn ich feststelle, dass ich gerade nicht fotografiert oder gefilmt hab. Irgendwann hat mich das so genervt, dass ich bei der nächsten Reise die Kamera nicht mehr mitgenommen hab und das war ein tatsächlich befreiendes Gefühl. Anstatt zu versuchen, so viele schöne Fotos wie möglich zu machen, habe ich einfach versucht, so viele schöne Erinnerungen so genau wie möglich in mir selbst zu speichern: Wie fühle ich mich in diesem Augenblick, was sehe ich, wonach riecht es, die Geräusche und so weiter. Ich habe dadurch viele Momente viel bewusster wahr genommen.
Liebe Grüße
0
0
Das hast du richtig gut geschrieben! „Wenn wir es nicht fotografiert haben, haben wir dann das Gefühl, dass wir es gar nicht erlebt haben?“ Dieser Satz: SO SO WAHR! Das denke ich mir auch oft.
Das ist total schade, weil wir wirklich schöne Momente mit dem Rumgeknipse zerstören und Dinge oftmals nur durchs Handydisplay sehen und erleben, anstatt sie direkt anzuschauen.
Das war bei mir bei Konzerten früher ganz extrem. Mittlerweile filme ich nicht mehr bei jeden Song, der performt wird, mit und wenn dann nur ein bisschen und nicht von Anfang bis Ende. Stattdessen konzentriere ich mich mehr auf den Star, der da auf der Bühne steht und den ich so lange live sehen wollte und das jetzt endlich kann.
Bei Essen ist es echt so: Jeder fängt sofort an, tausend Fotos davon zu machen, halbherzig und schnell, bevor es kalt wird. Dabei ist das ja wirklich nicht so interessant für andere
Ganz liebe Grüße,
Krissi von the marquise diamond
http://www.themarquisediamond.de/
0
0
Ich kenne das sooo gut. Vor allem im Urlaub oder unterwegs mit niedlichen kleinen Kindern, habe ich viel zu oft das Gefühl, dass ich jeden Moment fotografisch festhalten müsste.
Wenn ich das mit den zwei Fotoalben meiner Großeltern vergleiche, einfach unvorstellbar. Ich habe auch nicht die Zeit mich den vielen digitalen Bildern zu widmen. Sortieren, löschen, bestellen – das dauert oft länger als die Momente lang waren.
Liebe Grüße!
0
0
Ich habe in der Vergangenheit schöne Momente selten mit dem Handy festgehalten. Jedes Mal, während ich beispielsweise einen Sonnenuntergang durch die Kamera fotografiere, fühle ich mich, als ginge mir die Chance verloren, den Sonnenuntergang tatsächlich zu betrachten. Ich kann mich nur auf das Bild, das auf meinen Display erscheint, konzentrieren und nicht auf das, das hinter der Kameralinse liegt. Das macht mich traurig. Man hat dann ja nicht mehr vom Sonnenuntergang gehabt als ein Instagramnutzer, der den von mir fotografierten Sonnenuntergang ansieht. Ich möchte lieber schöne Momente in meinem Gedächtnis und Herzen speichern. Fotografie aus künstlerischen Aspekten macht durchaus Spaß, aber es darf nicht zur permanenten Fotografie aus Zwang werden. Und das sage ich als Grafikdesignerin.
1
0