Habt ihr schon einmal eine Black Mirror Folge gesehen? In vielerlei Hinsicht finde ich die ja gruseliger, als jeden bekannten Horrorfilm. Weil die so erschreckend realistisch sind und weil ich mir bei so vielen Folgen denke ’noch ein kleines bisschen, dann ist genau das unsere Gesellschaft‘. Da gibt es die Folge ‚Abgestürzt‘ in Staffel 3, in der Bürger sogenannte ‚Social Rankings‘ haben, ein Punkte-Bewertungssystem, das interaktiv und für jeden einsehbar ist. Für ein gutes Ranking erhältst du Privilegien, für ein schlechtes erfährst du Ausgrenzung und Verachtung von der Gesellschaft und so kann man im Laufe der Folge der Protagonistin dabei zusehen, wie sie aufgrund einiger unglücklicher Situationen immer schlechter bewertet wird und letztendlich am Boden der Gesellschaft landet.
Gruselig, wie real diese Folge ist, findet ihr nicht? Du kannst ein relativ unbescholtenes Lebe führen, im Großen und Ganzen überdurchschnittlich aufmerksam auf Umgebung und Umwelt achten, irgendwie versuchen, einen kleinen, positiven Beitrag an dem Ganzen zu leisten oder du schwimmst vielleicht auch einfach irgendwo in der Mitte mit. Dann machst du einen dummen Witz, den irgendein anderer Mensch im Internet anders interpretiert und dein Leben verselbstständigt sich. Plötzlich bist du nur noch ein einzelner Moment und das Internet nimmt Kontrolle über dein Leben.
Das Internet hat einen großen Teil zur Demokratisierung beigetragen. Festgefahrene Strukturen wurden aufgebrochen, mächtige Personen mussten sich durch den Druck der Massen für ihre Fehler verantworten. Ich denke da an die Me-Too Bewegung oder das neueste Aufdecken von perversen Fotografen auf Instagram, die über Jahre zum Teil minderjährige Mädchen sexuell belästigt haben. Das ist eine gute Sache, nicht wahr? Ohne die Strukturen des Internets, die Menschen kollektiv und über Grenzen hinaus zusammenbringt, wäre das alles vielleicht nie aufgeflogen und Opfer würden bis heute schweigen oder es würde ihnen nicht geglaubt werden. Aber wie viel Selbstjustiz ist eigentlich noch in Ordnung, wenn es überhaupt zu rechtfertigen ist?
Vielleicht kennt ihr noch den jungen Youtuber Logan Paul, der so dumm war, wie ein 22 jähriger nur dumm sein kann und in einem Wald in Japan, der als „Suicide Forest“ auf Suche nach Menschen geht, die sich selbst umgebracht haben und nachdem er tatsächlich eine erhängte Leiche findet, sensationsgeil mit der Kamera draufhält, um im weiteren Verlauf des Videos nach wenigen Minuten weiter zu lachen und zu scherzen. Ziemlich geschmacklos, oder? Was man nicht alles tut, um das nächste schockierende Video im Kasten zu haben, das sich gut klickt… Das ganze artete in kürzester Zeit von Kritik und Empörung in kollektiven Morddrohungen und Gewaltfantasien aus und so wenig sympathisch mein Beispiel auch sein mag – kann so eine Welle an Hass jemals gerechtfertigt sein? Als Monica Lewinsky mit gerade mal 22 eine Affäre mit dem Präsidenten der vereinigten Staaten anfing, konnte sie sich sicherlich nicht einmal im Traum vorstellen, dass sie für die nächsten 20 Jahre zu einer Person des öffentlichen Schämens werden würde, von sämtlichen Medien durch den Dreck gezogen, ihr komplettes Privatleben verlieren und keinen Job mehr finden wird. Oder Britney Spears, die 2007 in sämtlichen Medien zerrissen und für verrückt erklärt wurde, nachdem sie kurzentschlossen ihre Haare abrasierte.
Auf Bildblog wird Tag für Tag aufgedeckt, welche armen Opfer sich die Bild wieder für eine neue Schlagzeile rausgesucht hat. Mit ein bisschen Pech hast du einfach zufällig den gleichen Namen, wie die arme Person, die gesucht wird oder du bist ein Angehöriger. Oder ein Verdächtiger in einem Prozess und deine Schuld ist noch lange nicht bewiesen. Das kümmert die Bild relativ wenig, wenn sie dein unzensiertes Bild auf ihre Zeitung druckt und dein Leben im Zweifel für immer ruiniert.
Hass – das ist eine Emotion, die uns positiv bestärkt, solange wir sie auf andere projizieren können und sie nicht uns selbst entgegenschlägt. Sowas verbindet. Wir sind plötzlich Teil einer Gruppe, die sich gegenseitig bestätigt. Und innerhalb dieses Mobs kreieren wir einen Antihelden. Wir entmenschlichen unser Ziel, damit wir uns nicht schuldig fühlen. Deshalb wird das Ziel nicht mehr als Mensch gesehen, sondern als Schurke, als Bösewicht: Das hat der doch selbst zu verantworten!
Denk an die dümmste Sache, die du gemacht hast – vielleicht als du noch jünger warst, oder betrunken. Oder vielleicht warst du gerade in einer wirklich schlimmen Verfassung oder hast einfach mal die falsche Entscheidung getroffen. Und jetzt denk daran, dass die gesamte Welt deine Dummheit mitbekommen hat und mehrere tausend Menschen dir einen Kollektiven Hass dafür entgegen bringen. Vielleicht entschuldigst du dich für das was du getan hast, weil du dich schämst. Vielleicht möchtest du im Erdboden versinken. Also verschließt du dich in deiner Wohnung und betest, dass all das bald endlich vorbei ist. Aber auch Monate und selbst Jahre später stehen die Menschen mit Schildern vor deiner Tür, sprühen an deine Hauswand, was für ein widerlicher Mensch du bist, raten dir, dich einfach umzubringen. Deinen Job hast du längst verloren, sowie einen Großteil deiner Freunde und überhaupt kannst du keinen Augenblick in der Öffentlichkeit entspannen in der Angst, dich könnte wieder jemand erkennen und beleidigen oder bedrohen.
‚Das passiert mir nicht, ich pass ganz genau auf‘ denkst du dir vielleicht gerade. Die Seite Bildblog zeigt ausführlich genug, dass du noch so gut aufpassen und dich zurückhalten kannst und letztendlich doch genauso gut als Bauernopfer enden kannst. Oder vielleicht teilst du einen harmlosen Gedanken mit der Welt und am anderen Ende der Leitung sitzt der falsche Empfänger. Ich musste an Louisa Dellert denken, während ich das hier schrieb.
Die ganze Aufregung um die Influencerin startete gerade erst ein paar Wochen. Louisa hat schon vor längerer Zeit einen Weg eingeschlagen, vor dem sich viele ihrer Kollegen mehr oder weniger fürchten: Es geht um Fair Trade und Nachhaltigkeit. Und zusätzlich dazu auch um das Bemühen, Inhalte mit Mehrwert abseits der Lifestyle Themen zu bieten. So hat sie zum Beispiel angefangen, auf eigene Kosten durch Deutschland zu Reisen und verschiedene Politiker aus unterschiedlichen Lagern zu interviewen, Vorträge zu halten oder Müllsammel-Aktionen ins Leben zu rufen. Das kleine Problem an der Sache: Das macht alles Sinn und hat einen positiven Impact, Geld verdient man damit allerdings nur schwer. Genauso wenig, wie mit den meisten Fairtrade Brands – denn genau beim Bezahlen der Kreativen für ihren Content hört das „fair“ leider auf.
So dachte sich Louisa vermutlich „Hey, ich habe knapp 400.000 Follower, die mir allein auf Instagram folgen. Irgendeinen Mehrwert scheine ich ja zu haben“. Und so wie es anscheinend nach wie vor immer noch mehr als ausreichend Menschen gibt, die bereitwillig ihr Geld für mit Werbung vollgeklatschte Zeitschriften wie die Vogue ausgeben, sollte es doch vielleicht ein paar Menschen geben, die sagen ‚dein Content und deine Bemühungen sind mir etwas wert und dafür zahle ich gerne einen Preis, damit ich auch weiterhin etwas davon habe und du angemessen für deine Arbeit entlohnt wirst‘ und weil das ganze zusätzlich noch auf freiwilliger Basis stattfand und jeder selbst entscheiden konnte, ob er den Content in Zukunft nun kostenlos konsumieren mag oder er ihm tatsächlich mehr wert ist, habe ich das für eine völlig harmlose Anfrage gehalten, jedenfalls konnte ich diese Riesenwelle an Hass nicht nachvollziehen, erst recht nicht gemessen an der Aktion, die diese verursacht hat. „Influencerin bettelt Follower um Geld an“ schreiben die Medien und das ganze läuft völlig aus dem Ruder.
Patreon ist ja auch nichts neues – hier kann man Künstler durch Zahlungen unterstützen, damit diese weiter und unabhängig Content erstellen können und mir fällt auch Toby vom Einschlafen Podcast ein, der für alle kostenfrei viele hundert Folgen eingesprochen hat und auf seiner Seite die Möglichkeit eingebaut hat, ihm dafür bei Belieben eine kleine Spende zukommen zu lassen. Ist doch nett, wenn man das macht. Leute hören das, schlafen besser ein und er macht sich die Mühe. Das macht er sicherlich gerne, aber er darf sich auch darüber freuen, wenn jemand ihm dafür etwas geben mag.
Ich erstelle ja jetzt schon seit einigen Jahren Wallpaper für euch und meistens macht mir das wirklich Spaß. Ich freue mich, dass ihr euch so darüber freut und eure lieben Worte dazu sind mir so viel wert. Letztens meinte einmal eine Freundin zu mir „Jana, du musst dafür Geld nehmen“ und ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, habe ich den Vorschlag abgelehnt. Die Wallpaper sollen für alle sein, egal wie viel Geld jemand übrig hat. Aber einmal habe ich ganz kurz daran gedacht, dass ich es vielleicht mal ähnlich mache, wie der Einschlafen Podcast und die Möglichkeit, einer kleinen, freiwilligen Bezahlung einzubauen, falls es irgendjemandem etwas wert ist. Wohlmöglich hätte das ganze dann so geendet wie bei Louisa und ich wäre der blöde Schmarotzer, dessen Arbeit nichts wert ist. Dann würde ich vielleicht bei jedem Atemzug verurteilt werden, zum Beispiel, wie ich es wagen könnte, mir Glitzer für mein Gesicht zu kaufen, obwohl das nicht aus Recyclebarem Esspapier hergestellt wurde. Oder dass ich es überhaupt wage, zu atmen und damit dem CO2 Ausstoß fördere. Das ist dann das Publikum, das man sich damit einhandelt. Aber wie blöd eigentlich auch, sich davon stoppen zu lassen…
Liebe Jana, ein toller Artikel! Den Fall mit der Influencerin habe ich garnicht mitbekommen. Ich würde übrigens für deine Wallpaper spenden!
Liebe Grüße Marie
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Hey,
super Artikel! Das mit der Louisa fand ich auch so krass. Ich frag mich immer was bei den Leuten nicht stimmt, die so böse Kommentare schreiben!
LG
Christina
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